Über das Meinen

Eine*r von vielen
Bildrechte Anke Bahr

Möglich, dass ein Geflüchteter sich gut behandelt fühlt, obwohl er als »Asylant« bezeichnet wird. Und dass eine Frau mit einer Behinderung sich trotzdem als Mensch wahrgenommen weiß, auch wenn man von ihr als »der Behinderten« redet.

Mag sein, dass ein Krankenpfleger ahnt, dass auch er gemeint ist, wenn eine Politikerin von »Krankenschwestern« spricht. Und dass eine führende Angestellte spürt, dass auch an sie gedacht wird, wenn der Chef sich bei den »Abteilungsleitern« bedankt.

Trotzdem: Wer nie so angesprochen wird, wie es eigentlich richtig wäre, fühlt sich wahrscheinlich irgendwann übergangen und abgehängt. Und abgehängt sein heißt eben: Nicht mehr dabei.

Von »Abgehängten« ist momentan auch in einem anderen Zusammenhang die Rede. Interessanterweise genau dann, wenn es gilt, die Kehrseite von gerechter und sensibler Sprache anzuprangern. Es ist ein gern gebrauchtes Argument der Menschen, die sich in ihrem Sprachgebrauch nicht umstellen wollen. Die reden möchten, wie sie es immer getan haben.

Leider äußern sie aber selten: „Ich weiß nicht, ob man überhaupt noch Flüchtlinge sagen darf?“ Oder: „Ich habe keine Ahnung, wie man die »Mitarbeiter« richtig gendert. Das verunsichert mich. Deshalb sage ich es so, wie ich es als Kind gelernt habe.“ Viele behaupten lieber, dass sie es natürlich korrekt und heutig ausdrücken könnten, es aber bewusst nicht tun, weil sich Menschen aus bildungsfernen Schichten (was auch schon wieder ein abhängender Begriff ist) sonst abgehängt fühlen. Sie wollen also die anderen in Schutz nehmen, die nicht wissen, wie man was politisch korrekt sagt. Gerechte Sprache - Sprengstoff für das friedliche Miteinander.

Wenn man es genau betrachtet, scheint es in diesem Spiel überall Abgehängte zu geben:

Entweder fühlen sich Menschen abgehängt, die nur »mit etwas« gemeint sind, aber nicht gleichberechtigt und mit Würde angesprochen werden. Oder aber - so lautet die krude Theorie - die Menschen, die aufgrund defizitärer Bildung ohnehin schon abgehängt seien und nun trotzdem dazu gezwungen werden sollen, sich fair auszudrücken. Da sie dies aber nicht hinbekommen, radikalisieren sie sich womöglich. Woran dann wiederum die zuerst genannten Sprachsensiblen schuld sind...

Uff!

Gehen wir logisch ran. Will man keine Abgehängten mehr, gibt es nur zwei Lösungen:

Entweder man überzeugt die, die sich durch falsche Ansprache verletzt fühlen, sich endlich ein dickeres Fell zuzulegen. Denn sonst, so macht man sie glauben, seien sie verantwortlich, dass unsere Gesellschaft auseinanderbricht.

Oder aber: man erklärt schon Kindern in der Grundschule, wie sie sich allen Menschen gegenüber so ausdrücken können, dass niemand sich abgehängt fühlt. Dies verstetigt und selbstverständlicht man mit einem umsichtigen Sprachgebrauch in möglichst vielen Medien. Und wenn jemand trotzdem nicht weiß, wie was gesagt wird, darf er*sie einfach fragen, ohne dass wiederum ihm*ihr zugeschrieben wird, er*sie sei ein bildungsferner, unsensibler Mensch.

Dieser zweite Weg hätte den großen Vorteil, dass niemand mehr durch Sprache abgehängt wird.

Er hätte aber auch einen großen Nachteil: Dass nämlich diejenigen, die andere Menschen gerne abhängen, um ganz besonders gemeint zu sein ... diese Scheinriesen also müssten die Größe haben, ihr Podest zu verlassen und sich endlich auf Augenhöhe zu begeben.

Anke am 6.4.2021