Are We Strong Enough?

Strong Enough
Bildrechte Barbara Pühl

Wie weit, wie stark sind Kirche und Gesellschaft im Umgang mit Geschlechtervielfalt und sexueller Orientierung?

Vor etwa zwei Wochen haben sich unter dem Motto #actout 85 Schauspieler*innen im Magazin der Süddeutschen Zeitung zu Wort gemeldet. Sie bekennen sich öffentlich als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär oder trans* und fordern in einem Manifest mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen.

Bisher müssen Schauspieler*innen, die sich als nicht-binär oder nicht heterosexuell outen, mit Nachteilen im Beruf rechnen. Sie erhalten weniger oder keine Spielangebote mehr, weil sie für traditionelle Geschlechts- und Familienrollen ungeeignet scheinen. Dagegen wehren sie sich: "Wir sind Schauspieler*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es - das ist unser Beruf." Außerdem setzen sie sich dafür ein, dass die Medien, die von den Geschichten des Lebens erzählen, die bestehende Diversität mehr abbilden. "Unsere Gesellschaft ist längst bereit" - so argumentieren sie.

Mit dieser Aktion haben die 85 Schauspieler*innen die öffentliche Diskussion neu angefacht. Und die ist notwendig, denn die gesetzliche Anerkennung von Intergeschlechtlichkeit und Homosexualität hilft wenig, wenn Menschen in ihrem Alltag deswegen nach wie vor benachteiligt oder gar diskriminiert werden.

Aber, ist die Gesellschaft wirklich schon bereit?

Im Fußballmagazin 11 Freunde haben just vergangene Woche 800 Fußballer*innen homosexuelle (Profi)-Spieler*innen zu einem Coming-out ermutigt. IHR KÖNNT AUF UNS ZÄHLEN lautet ihr Slogan. Weniger optimistisch äußert sich dagegen der ehemalige Nationalspieler und Weltmeister Philipp Lahm. Er rät, mit einem Coming-out bis nach der aktiven Karriere zu warten. - Homosexualität sieht er in Fußballkreisen längst nicht als anerkannt. Wer sich oute, müsse mit Anfeindung und möglicherweise auch Nachteilen für die Karriere rechnen.

Was also ist nun der richtige Weg? Gibt es so einen überhaupt? Und kann oder muss er für alle gleich sein?

Ich kann die Bedenken Philipp Lahms einerseits gut nachvollziehen. Sie decken sich mit meiner gesellschaftlichen Wahrnehmung. So lange Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär oder trans* verstehen, mit Diskriminierung rechnen müssen, würde ich nicht pauschal dazu raten, sich zu outen. Andererseits ist es notwendig, dass mehr Menschen diesen Schritt in die Öffentlichkeit wagen. Nur wo solche Vielfalt sichtbar und Berührung damit ermöglicht wird, kann deren Ablehnung und Verurteilung langfristig überwunden werden. Das zeigen die Erfahrungen vieler Menschen, die sich zunächst im kleinen Kreis geoutet haben. Wieviele Eltern, für die beispielsweise Homosexualität als unvorstellbar und inakzeptabel galt, haben einen anderen Blick gewonnen, weil sie erkannt haben, dass die sexuelle Orientierung der eigenen Tochter oder des eigenen Sohnes nichts über deren Wert, über deren Fähigkeiten oder Verantwortung aussagt. Jede gesellschaftliche Veränderung braucht daher Mutige, die den Mund aufmachen und ihn sich verbrennen. Die Anfeindung und Rückschläge einstecken und Gleichgesinnten zum Vorbild werden. Das war (und ist) in der Frauenbewegung nicht anders.

Was aber nun - so frage ich mich als Kirchenfrau, die für Chancengerechtigkeit und Vielfalt steht - würde ich Menschen, die in meiner Kirche aktiv sind oder arbeiten, raten, wenn sie überlegen, sich zu outen? Wie weit und wie bereit sind wir als Kirche?

Ich habe etliche Kolleg*innen, die offen zu ihrer geschlechtlichen Identität oder Orientierung stehen. Von manchen weiß ich, dass sie darin von anderen anerkannt und bestärkt werden. Immerhin gibt es in unserer bayerischen Landeskirche inzwischen ganz offiziell die Möglichkeit, dass homosexuelle Paare nach einer standesamtlichen Heirat eine kirchliche Segnung erhalten. Und ein*e intergeschlechtliche*r oder homosexuelle*r Pfarrer*in kann eine Gemeindestelle bekommen und im Pfarrhaus wohnen. (In einem Beruf, in dem nicht Schauspielen, sondern vielmehr Authentizität als zentrale Eigenschaft angesehen werden, extrem wichtig, wie ich finde). Es gibt aber auch Kolleg*innen, die persönliche Anfeindung und Diskriminierung erlebt haben - von anderen Kirchenmitgliedern oder von Vorgesetzten. Und mitunter erreichen auch mich Briefe oder Mails, in welchen Menschen mit Kirchenaustritt drohen, weil ihnen die Haltung und Praxis der evangelischen Kirche zu liberal ist.

Der Streitpunkt entzündet sich an dieser Stelle in der Auslegung und Deutung biblischer Texte. In Fragen der Geschlechter und der sexuellen Orientierung führt dies kirchliche Gemeinschaften und Parlamente immer wieder bis an den Rand der Spaltung. Theologisch begründete Gewissenskonflikte sind dabei in der Tat sehr ernst zu nehmen. Und manchesmal sind sie wohl auch nicht auflösbar. Sie rechtfertigen jedoch weder Ausgrenzung noch Ablehnung oder Verurteilung derer, die nicht dem entsprechen, was vermeintlich als "normal" propagiert wird.

Kirchliche Schriften und Beschlüsse zu dem Thema lassen in allem Ringen einen Prozess zunehmender Toleranz und Anerkennung erkennen. Dieser ist noch lange nicht an sein Ende gekommen. Dafür brauchen wir noch mehr Mutige, die den Schritt in die Öffentlichkeit wagen, die die Diskussion neu anstoßen und die als Vorbilder auftreten. Mutige, die Kontakt und Fragen zulassen, um Berührungsängste und Tabus gemeinschaftlich abbauen zu können. Insofern bleibt aktuell nur Mut zum Mut zu machen. Denjenigen, die sich die Frage nach einem Coming-out stellen und allen anderen in Kirche und Gesellschaft, sich damit auseinanderzusetzen.

Barbara, 22.02.2021

 

Mehr Info zu diesem Thema (unter anderem ein Glossar) finden Sie unter:

  • In A Nutshell: Diverse Identität. Studienzentrum der EKD für Genderfragen, Hannover 2020.
  • Koll, Julia; Nierop, Jantine; Schreiber, Gerhard (Hg.): Diverse Identität. Interdisziplinäre Annäherungen an das Phänomen Intersexualität, Hannover 2018.
  • Zum Bilde Gottes geschaffen. Transsexualität in der Kirche. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, 3. Aufl. 2019.